Wir wollen die Erinnerungskultur mitgestalten und sind damit Teil eines natürlichen Prozesses, denn historisch betrachtet befinden sich die Formen und Rituale der Trauer in einem kontinuierlichen Wandel.
Das Bestattungshaus als Dienstleistungsunternehmen, welches die Hinterbliebenen begleitet, anfallende Formalitäten übernimmt, die Verstorbenen versorgt und die Beisetzung organisiert gibt es noch nicht lange. Obwohl Bestattungen zu den ältesten Kulturformen der Menschheit zählen, entsteht ein Markt für Totenfürsorgeleistungen erst im 19. Jahrhundert.
Im Großen Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur von Rainer Sörries1 lässt sich nachlesen, dass im Mittelalter (6.-15. Jahrhundert) eine Bestattung vollständig in die Sozialstruktur der Gesellschaft eingebettet ist. Die Kirche ist verantwortlich für die Beisetzungen. Diese wird im Rahmen von Religionszugehörigkeit und Status der Verstorbenen ausgerichtet. In jener Zeit werden die Bestattungsangelegenheiten größtenteils innerhalb der Familie organisiert. Da die meisten Menschen in dieser Zeit über wenig finanzielle Mittel verfügen, reduziert die Trauergemeinschaft die Beerdigung häufig nur auf ihre wesentlichen Bestandteile, wie den Transport und die Beisetzung ohne Sarg. Die Bestattungsleistungen werden aus einem religiösen und moralischen Pflichtgefühl heraus getätigt und nicht, um Gewinne zu erwirtschaften. Demnach ergibt sich bis zum 19. Jahrhundert keine Nachfrage nach einer Auswahl von Bestattungsleistungen oder entsprechenden Gütern.

Um 1800 herum werden die Friedhöfe aus hygienischen Gründen nach und nach aus den Städten und Dörfern ausgelagert. Aufgrund der fehlenden Nähe zu den Gotteshäusern setzt sich aus logistischen und hygienischen Gründen die Nutzung von Särgen durch. Aus diesen Zuständigkeits- und Tätigkeitsbereichen entwickeln sich neue Berufszweige, sich auf die Organisation und das Einsargen spezialisieren. Für diese Berufsgruppe gibt es zunächst regionale Bezeichnungen: Heimbürgin (Ost-Deutschland), Totenfrau (Baden), Seelnonne (Süddeutschland), Leichenhuhn (Schweiz), Leichenwäscherin, Lichtfrau und Lichtmutter (Münster), Seelschwester, Einmacherin (Süddeutschland) und Leichenfrau1. Letztere wird 1862 zur amtlichen Berufsbezeichnung1. Ihre Aufgabe ist es, die Toten zu waschen und anzukleiden, die Beschaffung des Sarges und den Tod beim Standesamt zu melden. Auffallend ist, dass bis zur Ökonomisierung des Bestatterberufs die Tätigkeiten rund um eine Beisetzung vor allem von Frauen durchgeführt wird.

Im 19. Jahrhundert bilden deshalb Frauen die erste offizielle Berufsgruppe, die exklusiv mit der Bereitstellung von Totenfürsorgeleistungen betraut ist. Die beiden Forscher Dominic Akyel und Jens Beckert stellen in ihrer Untersuchung „Kultureller Wandel und Marktentstehung am Beispiel des Bestattungsmarktes“ eine weitere signifikante Änderung fest. „Im Rahmen der allmählichen Kommunalisierung des Bestattungs- und Friedhofswesens seit dem Ende des 18. Jahrhunderts wurden die Totenfrauen und Totengräber in den städtischen Dienst aufgenommen und erfuhren so eine Aufwertung ihres Berufsstandes“2. Diese Verstaatlichung und Entwicklung der professionellen Bestattungsbranche markiert damit den Übergang von der familialen zur professionellen Erbringung von Totenfürsorgeleistungen und erschafft einen neuen Markt. Diese Entwicklungen entlastet einerseits (erwerbstätige) Familien, andererseits kommt es zum Wissensverlust innerhalb der Familie rund um den Sterbefall. Langfristig führt das zu einer Abhängigkeit von externen Fachkräften.
Titelbild-Credits:
- Mit freundlicher Genehmigung durch das Bestattungsmuseum Wien
Quellen:
- Sörries, Reiner (2002): Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur, in: Zentralinstitut für Sepulkralkultur, Kassel (Hrsg.): Wörterbuch zur Sepulkralkultur, 1. Aufl. Bd. 1, 1. Volkskundlich-kulturgeschichtlicher Teil: von Abdankung bis Zweitbestattung, Braunschweig: Thalacker Medien.
- Akyel, Dominic; Beckert, Jens (2014): Pietät und Profit. Kultureller Wandel und Marktentstehung am Beispiel des Bestattungsmarktes, in: KZfSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 66. Jg., Heft 3/2014